Zersiedelung ist nicht mehr erwünscht. Das haben vor allem urbane Wählerinnen und Wähler mit der Annahme der Zweitwohnungsinitiative, der Kulturlandinitiative und nun der Revision des Raumplanungsgesetzes deutlich gemacht. Es geht aber nicht nur um das ländliche Idyll, sondern auch um den Schutz der «grünen Wiese» vor der eigenen Haustür. Dass wir näher zusammenrücken müssen, um Freiräume zu erhalten, ist unbestritten. Was das bedeutet, wird allerdings oft verdrängt.
Schuld an der Zersiedelung ist aus urbaner Sicht vor allem die «Hüsli-Schweiz». Einfamilienhäuser gehören mit ihrer geringen Bewohnerzahl zweifellos zu den grössten Verdichtungs-Verhinderern. Wo Einfamilienhausquartiere Wohnblocks weichen sollen, ist der Dichtestress allerdings programmiert.
Mehr Potenzial bietet der Flächenkonsum, der sich mitten in die Stadt hineingefressen hat. 1962 lebten 440 180 Menschen in der Stadt Zürich, heute sind es noch 390 082. Und das, obwohl es über 62 000 Wohnungen mehr gibt. «Verdichtet» wird Zürich heute nicht durch die Wohnbevölkerung, sondern täglich von über 213 000 Menschen, die zur Arbeit in die Stadt pendeln. Dazu kommen unzählige Freizeit-Pendler. Mit der heutigen demografischen Entwicklung bringen wir kaum mehr Grosshaushalte zurück in die Wohnungen. Es gibt allerdings auch andere Möglichkeiten, mehr Wohnbevölkerung in die Stadt zu holen – durch mehr Wohnraum an zentralen Lagen. Entscheidend dafür sind Ersatzneubauten und vernünftigere Bauzonenordnungen.
Ersatzneubauten werden dorthin gebaut, wo vorher ein altes Haus stand. Sie sind in der Regel grösser und nutzen bestehende Bauzonen besser aus. Mit jedem zusätzlichen Geschoss tragen sie zu mehr Wohnungen für mehr Quartierbewohner bei. Wie dringend höheres Bauen und eine höhere Nutzungsdichte gerade an begehrten innerstädtischen Lagen ist, zeigen die Zahlen aus der Stadt Zürich. Wo Häuser nur saniert wurden, entsteht zwar mehr Wohnfläche pro Person. Es wird baulich verdichtet, für die gleiche Anzahl Bewohner. Und an vielen innerstädtischen Lagen, wo Gebäude bewahrt blieben, führen Veränderungen in Haushalten – Trennungen und ausziehende Kinder – dazu, dass die Bevölkerung sogar schrumpft. Und weil lange bewohnte Wohnungen meist auch günstig sind, profitieren davon immer weniger Privilegierte. Dagegen haben Ersatzneubauten zwischen 2000 und 2009 rund 30 Prozent des Bevölkerungswachstums aufgenommen. Abreissen, höher und mit vernünftigen Wohnungsgrössen neu bauen, ist die sozial nachhaltigste Form des Städtebaus.
Eine Befragung, die wir 2011 in der Stadt Zürich durchgeführt haben, zeigt, dass Ersatzneubauten nicht zu Dichtestress führen müssen, sondern urbane Qualitäten stärken können. So wünschen sich innerstädtische Bewohner zwar einige typische alte Bauten für die Identität des Quartiers. Daneben wünschen sie aber vor allem ein lebendiges und sozial vielfältiges Umfeld: Beizen, in denen sie Bekannte treffen können, und Orte im Quartier, die belebt und spontan nutzbar sind. Vertraute Gesichter trifft man aber nur dort, wo die Quartierbevölkerung auch wachsen kann. So akzeptieren viele höhere Bauten unter der Bedingung, dass durch das Mehr an Wohnungen die Mietpreise gleich bleiben und der Neubau eine Bewohnerschaft mit unterschiedlichen Budgets zulässt. Anders sieht es in durchgrünten Stadtrand-Quartieren mit Dorfcharakter aus. Hier werden die freie Sicht auf den Garten und eine sozial homogene Nachbarschaft geschätzt. Neuer Wohnraum soll sich an den Bedürfnissen der Gemeinschaft orientieren und grüne Wiesen erhalten bleiben.
Der Mehrwert der Ersatzneubauten im Stadtzentrum liegt auf der Hand. Mehr Wohnungen können auf einem stark begehrten Wohnungsmarkt das Angebot und die Nachfrage ins Lot bringen. Mehr Bewohner bescheren Quartierläden und Beizen mehr lokale Kundschaft und den Anwohnern mehr belebte Treffpunkte. Beides wird von der Wohnbevölkerung explizit als Wohnqualität gewünscht. Und der um einige Geschosse höhere Ersatzneubau schafft dort neuen Wohnraum, wo ihn niemand bemerkt. Über den Köpfen, und nicht auf der letzten freien Wiese.
Dieser gesellschaftliche Mehrwert kann allerdings nur abgeschöpft werden, wenn die Voraussetzungen stimmen. So müssen die Zonenordnungen an innerstädtischen Lagen deutlich höheres Bauen erlauben. Heute liegen die meisten Reserven in dörflichen und oft peripheren Stadtrand-Quartieren. Der Gestaltungsplan erlaubt zwar auch andernorts eine höhere Ausnutzung, übergeht aber die 49 Prozent kleiner Privateigentümer, die ihre Liegenschaft im Stadtzentrum anpassen könnten. Ein positiver Ansatz wäre ein Verdichtungs-Bonus, der höheres Bauen und Aufstocken erlaubt, wenn dafür mehr Wohnungen geschaffen werden. Oder ein Sanierungs-Bonus, wenn grosse Wohnungen in mehrere Kleinhaushalte zerlegt werden. Ein wichtiger Schritt ist auch, dass Private einen Ersatzbau steuerlich gleich behandeln können wie bauliche Massnahmen bei Sanierungen.